7. Dampf und Getose

3295 0 0

Stille.

Gegen die Wand lehnend, sank ich langsam zu Boden. Die Kälte kämpfte gegen die Heizspiralen meiner Körperpanzerung an. Im Automatismus prüfte ich den Druck meines Gewehrs. Als Dampfinfanterist war es wie eine Erweiterung meines Körpers. Das Dampfgewehr war des Dampfinfanterist seine Lebensversicherung. Der Tank auf meinem Rücken war noch gut mit Wasser und Seelenkristallen gefüllt. Erst heute Nachmittag würde ich Nachschub besorgen müssen.

Die Ausrüstung eines Dampfinfanteristen bestand aus einer mit Metallplatten gestärkten und an dieser Front extra gefütterten Ganzkörperrüstung. Der ganze Körper inklusive Gesicht war von der Außenwelt abgeschirmt und durch das Dampfaggregat auf dem Rücken mit Wärme versorgt. Dieses Dampfaggregat kam in verschiedenen Ausführungen, da es im Laufe des Kriegs immer weiter verbessert wurde. Im Endeffekt sitzt im Kern ein roter Seelenkristall, durch dessen Seelenflammen auf mechanische Art Wasser in Dampf verwandelt wird. Dieser Dampf versorgt Rüstung und Gewehr und wird soweit möglich ins Aggregat zurückgeführt.

Ich setzte meine Maske ab. Stechender Frost griff nach meinem Gesicht. Um meinen linken Arm waren mehrere Ketten mit kleinen Namensschildern gewickelt. Das Metall war matt und abgetragen und hob sich so vom weiß der Rüstung ab. Johann, Mark, Reitz, Michi und nun auch Andy. Ich las die Namen wieder und wieder. Dass wir es zusammen durch diesen Krieg schaffen würden, hatte niemand erwartet.

"John!", rief Lukas. "Da bist du. - Hörst du das?"

"Oh ja, klingt wie eine wohlverdiente Pause."

Lukas war der letzte Kamerad, der es aus meinem Bataillon aus der Ausbildung mit mir bis hierher an diese Front geschafft hatte. Fünf Jahre Graben, Belagerungen und mörderischer Dampf. Er gesellte sich zu mir und nahm gegenüber an der Wand des Schützengrabens Platz.

"Wie lange ist die letzte Feuerpause her?", fragte ich und merkte, wie die Erschöpfung sich in meinen Knochen breit machte. Bevor ich ihr mehr nachgeben konnte, setzte ich meine Maske wieder auf. Die Eiskristalle auf meiner Haut tauten.

Lukas zog seine Taschenuhr raus. In ihr steckte noch immer diese eine Kugel, die sie vor vier Jahren gefangen hatte und wie dieser Krieg lief sie unbeeindruckt weiter.

"Dreizehn Tage", resümierte er. "Dreizehn Tage ..."

"Dampf und Getose", sagten wir im Chor und schlugen einander mit den Händen ein.

Lukas zog seine Uhr auf und steckte sie wieder in seine Brusttasche.

"Hast du auch von dieser Spezialoperation gehört?", fragte ich ihn neugierig. Da er als Kommunikationsoffizier Informationen im wahrsten Sinne des Wortes von A nach B trägt, wusste er vielleicht mehr.

"Alles verschlüsselt", zuckte er mit den Schultern. "Aber was ist denn heute keine Spezialoperation mehr." Er klopfte gegen die massive Eiswand eines mitten in einem gigantischen See ausgehobenen Schützengrabens. Der gesamte See war tiefgefroren, um unsere Frontlinie so nahe wie möglich an Scios Truppen heranzulegen. Wäre gerade kein dichter Nebel, der uns diese Feuerpause verschaffte, würde ich die Sturmspitzen von diesem Loch aus sehen. Wenn wir diesen Graben nicht vor einem Jahr ausgehoben hätten, hätte ich gesagt, der Sieg sei zum Greifen nahe.

Donner nicht ungleich einer Artilleriesalve fegte über unsere Köpfe. Wir zuckten kaum merklich zusammen.

"Andy hatte gemeint, dass diese starre Gewitterfront über den Sturmspitzen von Seelendämonen kommen könnte", kommentierte ich den Donner. Tiefschwarze Gewitterwolken hatten sich entlang der gesamten Front vor einigen Wochen gebildet, noch bevor sich Andys Dampftank durch einen Streifschuss in tausend Stücke zerfetzt hatte. Dort verharrten die Wolken unerklärlicherweise und gelegentlich hallte ein monströser Donner von der Gebirgskette wieder.

"Es heißt, an der Nordfront, bei der Festungsstadt, hat Hardon ihren Seelendämon eingesetzt." Lukas drehte seinen Temperaturregler hoch. Ein dumpfes rotes Glühen beleuchtete die Rückwand des Schützengrabens. "Warum also nicht."

Erneut prüfte ich den Druck meines Gewehrs. Leicht gestiegen, bemerkte ich. Aus dem Futter meiner Panzerung fingerte ich zwei unscheinbar wirkende längliche Packungen hervor. Eine davon warf ich Lukas rüber.

"Auf Andy, die Maschine."

Wir knickten die Packungen in der Mitte. Mit einem Knacken leuchteten sie auf. An einem Ende mit einem dunklen Rot, am anderen Ende mit einem Hauch von Blau. In einem Zug schlürften wir den Inhalt in uns hinein. Die Maske bot dafür eine eigene Öffnung für den Bedarfsfall. Mehr als dass es ein Aufputschmittel war, wollte ich nicht wissen.

Ein Pulsieren breitete sich von meinem Nacken immer weiter Richtung Kopf aus. Mein Sichtfeld verengte sich, während meine Gedanken begannen zu rasen. Ich hielt die Luft an und umklammerte mein Gewehr. Nach einigen Sekunden ließ das Pulsieren nach. Meine Sinne waren messerscharf. In meiner Umgebung konnte ich alles wahrnehmen und gleichzeitig ignorieren. Den Zustand sollten wir wegen seiner Nebenwirkungen für Gefechte aufheben, aber mit einem vernebelten Verstand wieder Klarheit greifen zu können, war ein süchtig machendes Erlebnis. Dass der gedankliche Nebel danach noch dichter sein würde, war ein zu vernachlässigender Preis.

"Ey, Lukas." Ich tippte auf meine linke Schulter, an der einer der Druckmesser befestigt war. Das dumpfe Rot an Lukas Rücken war alles andere als dumpf. Es kreischte förmlich. Lukas realisierte es jetzt auch. Die Nadel seines Druckmessers zitterte in Richtung Gefahrenbereich. Gelernt, drehte er an seinen Ventilen. Versuchte den Dampf von seiner Kampfpanzerung wegzuleiten. Doch dem Druck war das egal. Aus einem leisen Pfft wurde schnell ein schrilles Pfeifen, als sich seine Notventile lösten. Seine Augen waren von Panik und Qual gezeichnet. Mein Kampfmesser glitt durch seine Schulterriemen und mit einem beherzten Ruck durch den Schlauch zu seiner Dampfrüstung. Kochend heißer Dampf ließ den Schlauch hin und her schlagen. Ich zog Lukas auf seine Beine. Ungeschickt fingerte ich nach den metallenen Verschlüssen unter dem Futter seiner Rüstung.

"I..ch"

"Ich weiß, ich hol dich da raus. Bleib bei mir."

Selbst durch meine Handschuhe spürte ich die brütende Hitze seiner Rüstung. Eine solche Fehlfunktion hatte ich noch nie erlebt.

"Hey, Lukas, nein!", rief ich aus. Lukas hatte mich gepackt und an sich gezogen. So konnte ich ihn nicht aus der isolierten Hitze seiner Rüstung befreien. Der Rüstung, die ihn gerade bei lebendigem Leibe kochte. Mit Wucht schlug sein rechter Arm auf mein Dampfaggregat. Im Bruchteil einer Sekunde waren wir in dichtem Dampf gehüllt. Lukas hatte den Notfallschalter meines Dampfaggregats ausgelöst. Damit sollte eine unkontrollierte Kettenreaktion verhindert werden. Eine Kettenreaktion, die uns den Generator von Lukas bald um die Ohren jagen würde.

Nach ewigen Sekunden verzog sich der Dampf. Wir beide standen noch an Ort und Stelle. Nur der Schützengraben war jetzt etwas breiter als vorher.

"Was sollte das?!", brüllte ich ihn an und setzte wieder dazu an, ihn aus seiner Rüstung zu befreien. Sein Kopf nickte in meine rechte Schulter, bevor seine Beine unter ihm nachgaben. Lediglich seine rechte Hand blieb oben bei mir. Sie umklammerte etwas. Etwas, das sich als mein Dampfmesser herausstellte. Dicht vor dem Gefahrenbereich. Die Hitze, die ich vermeintlich von ihm gespürt hatte, kam in Wirklichkeit aus meinem eigenen System.

Eine Fehlfunktion war Zufall, zwei Fehlfunktionen bei Kameraden Manipulation. Ich schaute nach links und rechts. In einigen hundert Metern gingen Kameraden, Freunde, Familienväter in Dampfkerzen auf.

"Scheiße. Scheiße! Scheiße!!!"

Das Letzte, was ich nahm, war das Namensschild von Lukas. Selbst wenn ich ihn befreien würde, konnte ich nichts mehr für seine dampfgegarten Eingeweide tun. Ich wusste nur eines - Ich musste hier raus und nur dank Lukas und Andy hatte ich überhaupt eine Chance dazu.

Ohne frischen Dampf würde ich in knapp einer Stunde erfrieren, schätzte ich. Und ohne mein Dampfgewehr fühlte ich mich schrecklich nackt, aber mehr wie ein Schuss war so auch nicht drin. Also nahm ich meine Beine in die Hand. Ich hievte mich aus dem Schützengraben und wollte mich am liebsten übergeben. Aus dem dicht verzweigten Netz an Gräben, Untergrundkammern und selbst der fast am Horizont liegenden Artilleriestellung stiegen Dampfsäulen empor.

Ich sprintete in Richtung Depot. Dort war auch unser Logistikpark. Wenn ich von hier entkommen wollte, dann von dort. Angesichts der simultanen Eskalation so ziemlich aller Dampfgeneratoren mussten die Seelenkristalle in deren Kern der gemeinsame Nenner sein. Dass sich der Nebel weitestgehend wieder verzogen hatte, rückte in den Hintergrund. Wo niemand Dampf hatte, gab es auch keinen Schusswechsel.

Auch wenn es aus Wärme konservierender Sicht fatal war, zog ich mir die Maske vom Kopf. Die eisige Umgebungsluft griff nach mir. Mein Atem knisterte in kräftigen Kondenswolken, während ich mit meiner zehn Kilo schweren Rüstung den Sprint meines Lebens absolvierte. Alle paar hundert Meter sprang ich über die zwei Meter breiten Grabengänge. Das Eis knackte widerlich unter meiner Wucht. Jeder Schritt hallte nach. Als Kind hatte ich diese Geräuschkulisse beim Schnippen eines Steins über einen gefrorenen See gemocht. Jetzt wollte ich nur weg.

Die Spikes meiner Schuhe hatte ich so zerlegt, dass ich in den Logistikpark nur so schlitterte.

"Mark!"

"John!"

Nicht unbedingt größer als ich kam unser Maschinist Mark gerade aus einem der mobilen Kühlaggregate. Mit seinem stämmigen Körper war er wohl einer der wenigen, der auch ohne Dampfgenerator hier draußen warm blieb.

"Ich wusste nicht, dass die Mutter des Nichts Zündkerzen sammelt. Mir sind gleich drei Offiziere in Dampf aufgegangen."

"Mir ging es mit Lukas nicht anders." Die Kette mit seinem Namensschild baumelte in meiner linken Hand. Krampfhaft zu einer Faust geballt.

Für eine Sekunde zog Mark mich an sich. Umarmte meinen zermarterten Körper. Ich muss einen acht Kilometer Hindernissprint hingelegt haben, schätzte ich.

"Es ist ernst", stellte er in einer der Situation gegenüber unangemessenen Gelassenheit fest.

"Was jetzt noch?"

Er nickte zu den Kühlhäusern. "Im Arsch. Alle."

Ich war am Verzweifeln. Ich hatte zwar eine lebende Seele in dieser abgrundartigen Situation gefunden. Doch nun wurde mir im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen weggezogen.

Das erklärt den Nachhall auf dem Eis, war der letzte Gedanke, der meinen Verstand durchschoss, bevor sich ein dichter Nebel schwer auf meinen Körper legte. Nur das Adrenalin hielt mich aufrecht und bei Bewusstsein.

Mehrere Donnergrollen vibrierten durch unsere Körper. Unsere Lungen zu widernatürlichen Klangkörpern verdammt. Die Frequenz der Donner hatte sich merklich erhöht.

"Wie lange?", fragte ich schließlich und schaute zu Boden. Um meine Füße hatte sich bereits eine dünne Pfütze gesammelt. Mein Zuhause der letzten Monate schmolz. Ein von unzähligen schwarzen, minimal rot glimmenden Linien zerfressenes Gesicht schaute mit verlorenem Blick zu mir auf. Die roten Seelenflammen des Aufputschmittels hatten sich durch meine Blutgefäße gebrannt.

"Den Freischwimmer kannst du Zuhause machen." Mark zog sich meinen linken Arm über die Schultern, um mich zu stützen.

Er lotste mich zu einer größeren, improvisiert überdachten Halle. Sie war aus verschiedenen weiß-grauen Planen und Stützpfeilern zusammengewoben. Es gab sie schon eine halbe Ewigkeit, nur was sich darunter versteckte, wusste ich nicht.

"Könntest du bitte auch etwas Panik haben", kommentierte ich ihn.

Wir hielten vor den Planen kurz inne.

"Wieso Panik ...", für dramatischen Effekt zog er die Plane ruckartig zur Seite, "wenn man den Rollenden Roland hat."

Ein fünfzehn Meter langes Ungetüm mit drei separaten Schneeraupenantrieben erstreckte sich vor mir. In der Halle war es mollig warm und es herrschte beschäftigtes Treiben. Mechaniker wuselten auf dem Rollenden Roland und an zahlreichen Maschinen in der Halle umher.

Während ich mehr und mehr an seiner Schulter hing, gab Mark bellend Befehle.

"Dampfer fertig machen. Bär, Status?!"

Ein Hüne von einem Mann brüllte über den Lärm eines eskalierenden Dampfgenerators. "Rosa fegt mächtig über das Parkett."

Ein halbes dutzend Dampfmechaniker war mit Bär damit beschäftigt, Ventile von der Größe einer Hand bis zu den Dimensionen meines Oberkörpers einzustellen. Dampf und Kühlwasser leckten aus dem dichten Netz an Rohrleitungen. Sechs dieser Leitungen führten zum Rollenden Roland.

"Dann noch eine Pirouette und wir rollen aus."

"Letzte Drehung!!!", wiederholte Bär den Befehl. Mit Schmackes setzte er das größte Ventil in Bewegung. Die anderen Dampfmechaniker legten ihrerseits auch noch mal einen Zacken zu.

Mir halfen zwei der Mechaniker auf die Mitte des Rollenden Roland. Ich stand auf einem Laufweg, der rund um ihn herumführte.

Mark löste Bär mit einem Schulterklopfen ab. In den nächsten Minuten bestiegen alle bis auf Mark den Rollenden Roland. Es lag eine knisternde Anspannung in der Luft. Bär stand nur wenige Meter von Mark entfernt auf dem Rollenden Roland. Aus voller Kehle brüllte Mark. "Dampfer der Vierunddreißigsten, was ist unser Motto?"

"Unter Dampf und ...", antworteten alle Mechaniker im Chor.

"Unter Dampf und was?!"

"Unter Dampf und Hochdruck bis zur Schmelze!"

Mark legte einen Hebel um und hob die Hand. Links und rechts von mir gingen je zwei Dampfer an den sechs Zuflussrohren in Stellung. Sowie Mark die Hand wie zum Schießbefehl herunterfahren ließ, wurde die herum knarzende und Dampf sprühende Maschinerie plötzlich stumm. Die Rohre, ausgeklinkt, fielen krachend zu Boden.

"Dampfen abgeschlossen", rief Bär.

"Ei, dampfen abgeschlossen", rief einer der ranghöheren Mechaniker an Bord zurück.

Bär lehnte sich über das Geländer. Mark ergriff die ihm gereichte Hand.

"Rollender Roland, rollt aus!", sagte Mark halb als Befehl, halb mit selbstzufriedenen Grinsen.

Der vordere Teil des Rollenden Rolands war wohl hauptsächlich ein Führerhaus. Dieses war mit einem Mannschaftsabteil auf dem mittleren Teilstück verbunden. Das Endstück war eine Mischung aus Dampfkorrektor und Tank. Ausgemergelt verfrachtete ich mich auf halb acht hängend in das Mannschaftsabteil. Im Endeffekt war das Abteil nicht mehr wie zwei sich gegenüber angeordnete Sitzreihen. Die Wände hatten kleine, kugelige Fenster. Als wären die runden Fenster auf einem Boot durch Schneekugeln ersetzt worden.

Wir rollten für gerade mal eine halbe Minute.

"Fest halten und Mund auf!", befahl Mark. Aus dem Führerhaus stapfend, kam er vor mir zum Halten. Ohne Vorwarnung klappte er mit seinen Pranken meine Kinnlade runter. "Offen lassen."

Er machte mich mit einem x-förmigen Gurt am Sitzkorb fest.

"Achtung!", rief Mark erneut. Er fixierte mich mit seinen Augen. Mit offenem Mund starrte ich zurück.

Ich lass’ ihn ja schon offen. Kommentierte ich mit meinem Blick.

Ein ohrenbetäubender Knall, dicht gefolgt von einer Schockwelle, rüttelte uns durch. Für einen Moment befürchtete ich, wir würden umfallen, oder schlimmer noch, es hätte unseren Dampftank zerlegt. Mark brüllte irgendwelche Befehle und stapfte unbeirrt ins Führerhaus zurück. Ich verstand kein Wort. Meine Ohren klingelten.

Nach ein paar Minuten berappelte ich mich wieder. Ich folgte einem der Dampfmechaniker auf den Laufsteg um den Rollenden Roland. Die massiven Stahltüren fielen mir erst jetzt auf. Die hätte ich alleine unter Garantie nicht aufbekommen. Das wird ein mörderischer Muskelkater. Eigentlich meine kleinste Sorge, aber Mark's Zuversicht färbte ab.

"Wenn Rosa geht, dann mit einem Knall", kommentierte Mark.

Ich lehnte mich neben ihm ans Geländer.

"Das war also der Dampfgenerator."

"Rosa ist ne Bombe, auf dem Parkett wie beim Absacker."

"Klar." Die Wortwahl weiter zu kommentieren, sparte ich mir. "Wohin rollen wir?"

"Norden, der kürzeste Weg vom Eis."

"Gut." Das passte zu den Sturmspitzen, die ich hinter dem Aufbau des Mannschaftsabteils am Horizont erblickte. "So gehts zu Ende."

"Hmm..." Mark schaute an sich, seiner weiß, grauen Uniform herab. Vom Verschleiß gezeichnet. "Davon werden wir uns nicht so schnell erholen können."

"Nein, das wird ein schwarzer Tag."

"Ob es in Scio besser aussieht? Und was ist mit der Nordfront? - Argh, wir sehen es, wenn wir da sind."

"Mark."

"Du kannst deinen Mund wieder zu klappen", sagte er mit einem Lachen, welches ihm im Hals stecken blieb.

"Oh, Scheiße."

"Beim Nichts, seinen Vater, wir sind im Arsch."

"Mehr als im Arsch, aber wo schaust du hin?"

Wir drehten uns jeweils um.

"..."

Was in unserer Welt möglich war. Was für möglich gehalten wurde, wurde vor unseren Augen gerade neugeschrieben. Die gewaltige Gewitterfront war auf dem Vormarsch. Sie war begleitet von einem bläulichen Schleier, durch den gelbe Flammen wie Blitze zuckten. Wild und ungezielt zerschnitten sie den Raum. Ständig und allgegenwärtig. Der Raum wurde von ihnen zersiebt.

Auf der anderen Seite rollte eine gigantische Welle aus roten Flammen auf uns zu. Ein dreckiges, dunkles Rot, wie getrocknetes Blut. Unbarmherzig verschluckten sie alles, was sich ihnen in den Weg stellte.

Jeder, dem die Grundlagen von Seelenflammen geläufig waren, wusste, dass ein längerer Kontakt mit sichtbaren Seelenflammen potenziell tödlich war. Ohne ausgebildetes Flammenorgan oder zumindest eine hohe Affinität geht die Überlebenschance gegen null. Geschweige denn eine Menge an Seelenflammen, die den gesamten Horizont vereinnahmen konnte. Mehr Energie als ein Jahrhundert durchgehendes Artilleriefeuer und wir Opfer genau dazwischen.

"Abriegeln. Abriegeln. Abriegeln", brüllte Bär aus dem Führerhaus.

Mark und ich kamen endlich wieder zu uns. Ich machte mich selbst in meiner Sitzschale fest.

"Bär, Vorschläge?"

"Schotten dicht und volle Fahrt voraus."

Zeit wurde relativ. Sekunden wurden zu Stunden. Die meisten Dampfmechaniker taten es mir gleich. Nur für Mark und Bär verblieben zwei leere Plätze. Alles vibrierte. Der Rollende Roland, die Sitzschalen und die darin festgeschnallten menschlichen Eingeweide. Das lauter werdende Zischen aus dem Maschinenraum zeugte von dem Versuch, die technischen Grenzen von Roland in gleichem Maße neu zuschreiben.

Ein Ruck und Kippen zog mich und alle Mechaniker auf meiner Seite aus den Sitzen. Nur unsere Gurte ließen uns nicht durch den Raum schleudern. Die Mechaniker uns gegenüber wurden in die Sitze gepresst. Einer schlug mit meinem unangenehm knackenden Geräusch mit dem Hinterkopf an die Rückwand. Er war bis eben noch nach vorn gelehnt gewesen. Seine Lichter waren sofort ausgeknipst.

Wir kippten vollends. Einiges an Werkzeug löste sich unvermittelt von einigen Mechanikern und traf die unglücklichen Mannschaftskameraden unter uns willkürlich. Ein scharfes Brennen begann meine freiliegende Gesichtshaut zu zerfressen. Gefrierbrand.

Ich schaute zum Führerhaus, doch dieses war bereits voller kochendem Wasser. Der aufsteigende Wasserdampf kristallisierte, bevor er nach wenigen Zentimetern im freien Fall wieder zu Dampf wurde.

"Oh, was haben wir hier?"

Die Stimme hatte keine Richtung. Sie schien allgegenwärtig.

"Eine rhetorische Frage - du arme Sau - Nein, zu profan - Hmm - Du arme Seele. Entschuldige, ich übe noch."

Blaue Flammen konzentrierten sich vor mir. Erst jetzt realisierte ich, dass die Zeit nahezu stillstand. Aus einem flammenden Auge wurde langsam eine Vogelgestalt und schließlich eine Art Eule.

"Dieses Aufputschmittel hat dir übel zugesetzt. Aber sonst wärst du jetzt gerade nicht mehr am Leben - Also nicht das du noch lange Leben wirst. Verzeih. Minderwertige Kristalle, die bei Kontakt sich verflüssigen. Interessant. Äußerst interessant. Du weißt dazu nicht zufälligerweise mehr?"

"..."

"Idiotische Frage, du bist einige Hundertstel vor dem sicheren Tod. Ich nehm dir die Schmerzen und dafür auch deine Erinnerungen. Ich werde gut auf sie aufpassen. Versprochen."

Dann.

Einsame Schwärze.

"Das sollte genügen, nicht wahr, Hammthal?", fragte dieselbe Stimme.

"Ja."

Diese Geschichte schließt an Operation Sublimierung an. Siehe hierfür: https://www.worldanvil.com/community/manuscripts/read/2223665389-midnightplay-operation3A-sublimierung
Please Login in order to comment!